Univ.-Prof. Dr. Raimund Jakesz ist Schulmediziner, wie er im Buche steht, und muss als Chirurg auch richtig Hand anlegen. Doch zu seiner Tätigkeit als Universitätsprofessor am AKH und Leiter der Abteilung für Allgemeinchirurgie vereint er ganzheitliche Therapieansätze und zeigt Betroffenen spirituelle Möglichkeiten zur inneren Heilung. Wir baten den außer gewöhnlichen „Chirurgen der anderen Art“ zum Gespräch.

Wie sind Sie persönlich zum Thema Spiritualität und Heilung gekommen?

Ich beschäftige mich seit mehr als 40 Jahren mit Patientinnen mit bösartigen Erkrankungen. Als ich angefangen habe, nicht nur auf das „erkrankte Organ“, sondern den Menschen in die Augen zu sehen, habe ich ihren Schmerz gespürt. Das ist nun ca. 20 Jahre her und ab diesem Zeitpunkt habe ich eine Erklärung für die Sinnhaftigkeit einer Krankheit gebraucht. Das steht auch in meiner Auseinandersetzung mit Patientinnen im Vordergrund. Auch ich fragte mich: Warum erlebe ich das? Warum verhalte ich mich so? Die Arbeit am Patienten beginnt an sich selbst, das ist primär. Es hat auch in meinem Leben Situationen gegeben, in denen ich gestrauchelt bin und mich auch von mir entfernt hatte – dieser Prozess hat mich dann zu mir selber zurückgebracht. Wie ich dann dafür reif war, habe ich begonnen, mit Patientinnen auf dieser spirituellen Ebene zu arbeiten.

Welche Lehren haben Sie beeinflusst?

Es gibt für mich nur eine Lehre. Wir sind Wesen, die von Gott geschaffen sind, und wir spüren das göttliche Gesetz in uns, wenn wir in uns hineinhorchen. Ich habe mich mit einer Fülle von ganz verschiedenen Philosophien beschäftigt. Sehr stark mit dem alten Ägypten, Buddhismus, Hinduismus und als Krönung schließlich mit dem Urchristentum und dem Thomasevangelium. Das macht für mich ein ganz stimmiges Bild. Ich betreibe in keiner Weise Hokuspokus. Alles, was ich tue, ist gut rational – es kommt nur nicht aus dem Kopf. Dinge, die wir erleben, sind energetisch erklärbar. Dinge, die wir fühlen, sind energetisch behandelbar und wieder lösbar. Wenn man natürlich rein im Körper, also in der Materie steht, wird man den geistigen Aspekt nicht erachten oder wahrnehmen können.

Wie gehen Sie mit Patientinnen in Einzelsitzungen vor?

Voraussetzung ist ein gewisser Wissensstand über sich selbst und die Erfahrung mit Meditation und des in sich selbst Versenkens. In der Sitzung werden offene, nicht gelöste Aspekte identifiziert und betrachtet. Dann nähert man sich dem Thema in einem meditativen, kontemplativen oder hypnotischen Zustand. Also der Ursache für diese Verwundung, denn es gilt ja in erster Linie, Verwundungen und Traumen aufzudecken und sich aus dieser Energie zu befreien. Also Heilung von dem Muster zu erlangen. Das Problem ist: Wir beschäftigen uns sehr häufig mit Auswirkungen, aber sehr wenig mit den Ursachen. Weil wir projizieren und den anderen die Schuld für den eigenen Zorn geben. Weil sie einem nicht geben, was man will. Wir sehen nicht, dass dahinter der eigene Mangel steht. Das ist der entscheidende Erkenntnisprozess. „Mensch, erkenne dich selbst“ – das ist ja tausende Jahre alt. Sich selbst zu erkennen ist immer der erste Schritt.

Oft kennen Menschen aber das Problem, können es aber nicht ändern …

Das ist ein sehr wesentlicher Punkt. Die Aufdeckung des Musters allein bedeutet nicht Heilung. Man muss in die auslösende Ursache hinein. In das Thema, in die wirkliche Tat. Zum Beispiel: Ich kann mich auf mich selbst nicht verlassen. Vertraue mir nicht, fühle mich unsicher. Warum ist das so? Heilung passiert, indem ich mich in einen Zustand gemeinsam mit dem Klienten begebe, der uns genaudiese Ursache angibt. Wir gehen in die Tat und sehen uns dabei zu. Das müssen wir in Ordnung bringen. Das heißt anhand des Beispiels: Ich muss mich mit dem, was ich gespürt habe und mich zu dem gebracht hat, dass ich mir selbst nicht vertraut habe, mit der Tat, die dazu geführt hat, aussöhnen – das ist das Entscheidende.

Rücken Schulmedizin und Komplementärmedizin nun doch mehr zusammen?

Klar ist, dass Spiritualität eine massive Ressource bei Burnout ist. Dass die Achtsamkeitsmeditation hier eine große Wirkung hat, ist schon erwiesen. Bei der Depression dürfte es ähnlich sein. Dass Menschen, die diese Ressource in der Krankheitsbewältigung aktiv benützen, eine bessere Lebensqualität haben und weniger Antidepressiva als die anderen brauchen, das ist auch gut bekannt. Dass Spiritualität und die Bewusstseinsentwicklung für die gesamte Krankheitsbewältigung ein ganz wichtiges Tool sind, steht vollkommen außer Frage.

Die Zeiten sind sehr fordernd – Krisen, Krieg, Angst und Unsicherheit. Wie kann man sich seelisch wappnen?

Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man sich seinen eigenen Raum bewahrt und ihn nicht kontaminiert mit Dingen, gegen die man sich im Augenblick nicht wehren kann. Man kann Schmerzen, Verwundungen, das Trauma, die Trauer gemeinsam betrachten und anfühlen, wie es sich anspürt, und dann Lösungen gemeinsam erarbeiten, ohne es in den eigenen Energiekörper zu holen. Das kann man mit einem ganz großen Mitgefühl tun. Noch wichtiger als das Mitgefühl ist: die Liebe.

Was ist Ihre Botschaft?

Ich habe viele Botschaften. Meine Botschaft ist: Ich bin für mich verantwortlich. Meine Botschaft ist, dass ich das ernte, was ich säe. Dass ich mich beschützt und behütet fühle in einem Setting, dass es ein liebevolles, sich um mich kümmerndes „Etwas“ gibt. Das mich behütet und führt. Das ist in mir und das ist außen – ich unterscheide nicht zwischen Innen und Außen. Ich bin verbunden mit Ebenen, die mich zum Erblühen bringen. Meine Botschaft ist, man muss an sich arbeiten. Man muss sich lieben, achten und ehren. Man muss den eigenen Lebensweg selbst steuern. Es gibt nichts in unserem eigenen Energiekörper, was nicht änderbar ist. Man braucht sich mit gar nichts abfinden, dass es so sein muss. Jeder muss in seinem Leben das, was für ihn möglich ist, umsetzen. Mit Liebe, Achtung, Frieden und Wertschätzung, Versöhnung, großer Achtsamkeit, Aufmerksamkeit, Sorgfalt – in großer Achtung, vor der eigenen Schöpfung.

Foto: Univ.-Prof. Dr. Raimund Jakesz

 

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